Restaurantkritik: Von Hofsängern und Riesensofas

Allgemeine Zeitung Mainz, 26.11.2010. Von Michael Bonewitz

RESTAURANTTEST Behagliches Ambiente und regionale Küche in "Geberts Weinstuben"
Es war 1955. In der Frauenlobstraße 94 probten die Mitglieder eines Mainzer Männerchors in den Räumen einer Mainzer Backstube ein neues Stück. Die Geburtsstunde eines Jahrhunderthits. Der Schlager hieß „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ und der Männerchor „Die Mainzer Hofsänger“. Von der Backstube sind nur wenige antike Errungenschaften erhalten geblieben, dafür zaubern hier und heute Vater und Sohn ambitionierte regionale Gerichte in „Geberts Weinstuben“.

Die Anfänge
Sie waren Bäcker, die Geberts, und stammen aus Franken. 1887 eröffnete Jean Gebert in der Löhrstraße seine erste Backstube. Damals lockte eine spektakuläre Stadterweiterung viele Mainzer Bürger Richtung Zollhafen: Der Bau der Neustadt. Auch Jean Gebert kaufte sich ein Grundstück in der Frauenlobstraße und zog 1897 mit seiner Bäckerei in die Neustadt. Verheiratet war er mit einer rheinhessischen Winzertochter aus Udenheim, so wurden die Nebenräume kurzerhand in eine Weinstube umgebaut. In den 1960er Jahren wurden Back- und Weinstube vorübergehend geschlossen. 1974 wagte Wolfgang Gebert, gelernter Koch, einen Neubeginn. Vor drei Jahren hat er das Küchenzepter an seinen Sohn Frank weiter gegeben und sich selbst in die zweite Reihe zurückgezogen.

Der Umbau
Frank Gebert ist sich der Geschichte seines Hauses durchaus bewusst und dennoch hat er bei seiner Übernahme im Jahr 2007 das Restaurant komplett umgebaut: Neue Fenster wurden eingesetzt, Mauern durchbrochen und gemeinsam mit der Mainzer Innenarchitektin Beate Lemmer aus den verschiedenen Einzelstuben ein großer Gastraum gestaltet. Geschickt und geschmackvoll ist er eingerichtet mit durchgängigem Dielenboden, brombeer-farbenen Stühlen, mit kleinen Lichtspots und antiken Lüstern - ein gelungener Spagat zwischen Tradition und Moderne.

Der Koch
1997 hat Frank Gebert im Favorite Parkhotel seine Koch-Lehre absolviert und anschließend an der Hotelmanagementakademie Koblenz als jüngster Absolvent den Gastronomiebetriebswirt errungen. Seine Lehrjahre führten ihn ins Hotel Bareiss nach Baiersbronn, ins Restaurant Bellpepper im Mainzer Hyatt, in den Deidesheimer Hof in die Pfalz bis nach London ins „1 Lombard Street“, ein umgebautes Bankgebäude mit Sterneküche, in dem nicht nur der Prinz von Dänemark zu Gast war, sondern auch die amerikanische Soul-Sängerin Beyoncé.

Die Philosophie
Eine handwerklich einwandfreie Küche liegt Frank Gebert am Herzen. „Wir machen unser Rotkraut selbst, genauso wie die Kartoffelklöße oder die Kroketten.“ Der 33-Jährige setzt auf Frische und Qualität, gekocht wird gutbürgerlich. Sein Credo: eher solide Hausmannskost als übertriebener Schnickschnack. Kein Amuse-gueule, dafür ausreichende Portionen.

Die Speisen
Ob „Pikante Kürbissuppe mit gerösteten Kernen“ (5,50 Euro) oder „Gebackene Ochsenschwanzpraline an mariniertem Feldsalat“ (9,50 Euro), ob „Hausgebeizter Lachs mit frisch geriebenem Apfel-Meerrettich“ (11 Euro) oder eine „Halbe knusprige Bauernente“ (22 Euro) in Geberts Weinstuben stimmt das Preis-Leistungsverhältnis. Wer etwas Besonderes probieren möchte, dem sei der ganze Fasan „Winzerin“ empfohlen, ein saftig-schmackhaftes Geflügel, dazu hausgemachtes Weinsauerkaut mit Kartoffelpüree und einem Trauben-Speck-Ragout. Für zwei Personen 49 Euro. Zubereitungszeit 30 Minuten. Aber das Warten lohnt sich.

Die Weine
Geberts Weinstuben ist ein Familienunternehmen. Vater und Sohn stehen in der Küche, die Mutter managt den Service, und Franks Ehefrau kümmert sich kundig um die Weinkarte. Einige fränkische Tropfen erinnern an die Wurzeln der Familie, ansonsten überwiegen rheinland-pfälzische Reben mit klarem Schwerpunkt auf Rheinhessen. Gerade bei den qualitativ hochwertigen Gewächsen überrascht die Weinkarte mit äußerst vernünftigen Preisen. Nicht umsonst wurde Geberts Weinstuben kürzlich mit dem „Best of wine tourism“-Award ausgezeichnet.

Fazit
Geberts Weinstuben bieten nicht nur ein behagliches Ambiente mit einem rekordverdächtigen Riesensofa, sondern auch kulinarische Klasse. Frank Gebert ist zudem ein herzerfrischender Gastgeber, der eine ehrliche, regionale Küche pflegt, die sich jenseits der reinen Schnitzel- und Rumpsteak-Gastronomie bewegt. Da findet sich denn auch mal ein „rheinhessischer Dippehas im Sauerteigbrot eingebacken“ auf der Speisekarte.

P.S.: Die Verbindung zu den Hofsängern kam übrigens nicht von ungefähr. Opa Gebert war einst aktives Mitglied und Sprecher der traditionsreichen Gesangsgruppe.